Rückbau zur Romantik
Die Walcker-Orgel in Lübeck erhält ihren originalen Klang zurück
Direkte Ansprache zeigt Wirkung: Viele Euro-Münzen und auch so manchen Schein erntete Oskar Walcker, als er in diesem Jahr einige Wochen lang jeden Besucher der Kirche St. Gertrud in Lübeck gleich an der Eingangstür erwartet, höflich begrüßt - und um Spenden für seine in die Jahre gekommene Orgel gebeten hatte. Tatsächlich war es nicht einmal Walcker selbst, der sich so engagiert positioniert hatte - das war auch gar nicht möglich, denn der Orgelbaumeister ist im Jahr 1948 gestorben. Stellvertretend für den Schöpfer der Orgel in St. Gertrud stand ein Plakat, das ihn im Alter von 70 Jahren abbildete. „Wir sind ein Familienunternehmen mit Weltruf in der dritten Generation und werden wohl 200 Jahre Orgelbaugeschichte schreiben und rund 6000 Orgeln bauen“, informierte der zweidimensionale Oskar die Eintretenden. Mit Stolz wies er außerdem auf das von seiner Familie erfundene pneumatische System hin; „hoch modern“ seien die damit ausgestatteten Instrumente zu seiner Zeit gewesen, und, so schwärmte Walcker weiter, „einen schönen Klang haben sie, wie ein Orchester“.
Eben dieses romantischen „schönen Klanges“ wegen wird die „Orgel des Monats Dezember“ der Stiftung Orgelklang, die Walcker 1910 erbaute, derzeit aufwändig restauriert. Von den insgesamt rund 200.000 Euro, die dafür benötigt werden, stellt die Stiftung 10.000 Euro zur Verfügung. Auch der zur Hilfe geholte Oskar Walcker erbrachte ordentlich Geld, ebenso wie die zahlreichen Benefizkonzerte. „Insgesamt waren und sind die Gemeindemitglieder sehr spendierfreudig“, lobt Pastor Erik Asmussen seine „Schäfchen“. Mehr als 30.000 Euro seien auf diesem Wege schon zusammengekommen.
„Immer sehr spendabel“ sei die Gemeinde gewesen, das hatte auch Oskar Walcker auf seinem Plakat verkündet. Kanzel, Altar, Kreuz und Orgel seien aus der Gemeinde gespendet worden. Aber nicht nur deshalb hängen die Lübecker an ihrer Orgel: „Sie ist eine der letzten ihrer Größe im Ostseeraum“, berichtet Asmussen, „die einzige erhaltene romantische Walcker-Orgel aus der Kaiserzeit in der Hansestadt“.
Mit der Orgelbewegung, die ab etwa 1925 eine Rückbesinnung auf mechanische Instrumente des 17. und 18. Jahrhunderts mit sich brachte, fielen pneumatische Werke wie das in St. Gertrud allerdings in Ungnade. Diese Ablehnung hielt lange Jahre an und führte dazu, dass 1980 auch die Walcker-Orgel grundlegend umgebaut wurde. Die pneumatische Anlage wurde ausgetauscht gegen eine elektrische Traktur mit neuem Spieltisch, und das Hauptwerk wurde um ein Zusatzwerk, ein so-genanntes „Auxilaire“, mit neuen Registern erweitert. Auf diese Weise wollte man erreichen, dass die Orgel auch für barocke Orgelliteratur geeignet wäre. Ein Ansinnen, das sich in der Rückschau als etwas naiv darstellt, da barocke Klänge und romantisches Konzept nicht zusammen passten.
Diese Mesalliance soll nun wieder gelöst werden: Der alte, pneumatische Spieltisch wird restauriert, damit er wieder zum Einsatz kommen kann; das Auxilaire aus den achtziger Jahren wird demontiert und fünf Register in pneumatischer Bauweise werden hinzugefügt. Auch das Pfeifenwerk, derzeit zur Reinigung komplett ausgebaut, muss gereinigt und generalüberholt werden. In ihre Nische des Kirchenraumes, die augenblicklich wegen Malerarbeiten komplett eingerüstet ist, soll die Walcker-Orgel im kommenden Frühjahr zurückkehren. Am Ostermontag, so hofft Asmussen, wird das erste Konzert mit der dann wieder gänzlich romantischen Orgel stattfinden.