Schluss mit giftig
Die Orgel der Dorfkirche in Massen wird bei ihrer Restaurierung von Giftstoffen befreit
„Ich will den rauschenden Klang der Orgel hören, diese Überschwemmung von überirdischen Tönen. Ich brauche ihn gegen die schrille Lächerlichkeit der Marschmusik.“ Diese Sätze aus Pascal Merciers Roman: „Nachtzug nach Lissabon“ sollen das Motto sein für die Bemühungen um eine Orgel, um deren „rauschenden Klang“ es derzeit nicht so gut bestellt ist. Das wünscht sich Marlén Reinke, die Pfarrerin der brandenburgischen Kirchengemeinde Massen. Die Orgel in der Massener Dorfkirche liegt nicht nur ihr am Herzen. „Diese Sätze beschreiben ein Ziel, das die ganze Gemeinde bewegt“, sagt sie.
In den letzten 50 Jahren allerdings sei das, was für den Erhalt des Instruments getan werden konnte, „nur Flickschusterei“ gewesen – so jedenfalls habe man ihr bei ihrem Amtsantritt vor drei Jahren berichtet. Eine nicht ganz unzutreffende Wahrnehmung, wie Reinke kurz darauf feststellen musste: „Der Gutachter, den wir hinzuholten, schlug die Hände über dem Kopf zusammen“: Die gesamte Windanlage war defekt, der Motor ebenso, einige Register konnten gleich gar nicht mehr gezogen werden. Seit 1821 war die von Johann Christoph Schröther erbaute und 1881 von Nikolaus Schrickel umfassend erweiterte Orgel in Massen in Betrieb – damit ist es nun erst einmal vorbei.
Zu Beginn des Sommers wurde das von der Stiftung Orgelklang zur „Orgel des Monats November“ gewählte Instrument sukzessive aus der Kirche ausgebaut; inzwischen ist nur noch das äußere Holzgehäuse zu sehen. „Das ist eigentlich auch ein ganz spannender Einblick, der auf diese Weise möglich wird“, meint Marlén Reinke. Trotzdem hätte die Gemeinde natürlich lieber den vollen Klang statt des leeren Kastens in der Kirche. Doch bis dahin wird es noch eine ganze Weile dauern.
Besonders wichtig im Rahmen der Instandsetzung des Instruments ist die Entfernung von Giftstoffen. „Zu DDR-Zeiten wurde da jede Menge Holzschutzmittel reingespritzt, sogar das längst verbotene Mittel DDT! Man kann die Giftkristalle, die aus dem Holz austreten, sogar sehen. Sie dürfen nicht berührt werden, und man sollte sich nicht längere Zeit in der Nähe aufhalten. Die Orgel ist regelrecht verseucht.“
Nach der Winterpause soll Schluss sein mit giftig. Und wenn die vom Gifte befreite und mit ihren jetzt wie neu glänzenden Pfeifen versehene Orgel im kommenden Frühjahr wieder an ihren Platz zurückkehrt, wird nicht nur der neue schöne Klang zu bestaunen sein, hofft die Pfarrerin: „Dann können wir das Orgelinnere auch mal öffnen, damit zum Beispiel unsere Konfirmanden oder Kindergottesdienstkinder einen Blick hineinwerfen können“. Die Jugend kommt gerne in die Massener Dorfkirche: Der Kontakt zu mehreren ortsnahen Musikschulen ist eng. Zu besonderen Gottesdiensten, zum Gemeindefest oder zu Konfirmationen bringen die Musikschüler mit ihren Instrumenten lebendige Töne mit in die Kirche.
An der „Sammelbox“ für Spenden zur Restaurierung der Orgel gehen auch sie nicht achtlos vorbei, weiß Marlén Reinke. Das von einem Massener Tischler gefertigte Behältnis ist eine hölzerne Orgelpfeife. „Hier können die Kinder – und nebenbei nicht nur sie – eine Holzpfeife aus nächster Nähe betrachten. Die meisten staunen, auch weil sie gar nicht wussten, dass es Orgelpfeifen aus Holz gibt.“ Rund 3.000 Euro hat die Leerung der Sammelpfeife bereits ergeben. Insgesamt werden fast 50.000 Euro vonnöten sein, um die Schrickel-Orgel umfassend wiederherzustellen. Die Stiftung Orgelklang stellt 4.000 Euro zur Verfügung. „Das ist für uns eine große Hilfe“, sagt Marlén Reinke. Sie ist zuversichtlich, genügend Unterstützer zu finden und spätestens im Mai wieder - den rauschenden Klang von „überirdischen Tönen zu hören“.