Neues Repertoire für „alte“ Orgel
Auf der Stumm-Orgel in Steinbach können wieder alte und neue Meister erklingen
Orgeln können begeistern. Zumindest in der evangelischen St. Georgsgemeinde im hessischen Steinbach scheint das der Fall zu sein. Seit Palmsonntag ist die dortige Stumm-Orgel nach ihrer Restauration wieder in Betrieb – und sie wird genutzt wie nie. „Die Organisten können nun ein ganz anderes Repertoire bieten“, schwärmt Beate Korn vom Gemeindebüro, „sogar Herr Bach kommt besser zur Geltung als zuvor“. Vor wenigen Wochen habe es ein Konzert zweier Musiker gegeben, die die Orgel „wirklich virtuos vierhändig und vierfüßig gespielt haben, ohne sich zu verknoten“. Dank des wiederhergestellten Instruments kann die Gemeinde ihre musikalischen Angebote deutlich erweitern. Das gilt für Gottesdienste, Konzerte und andere besondere Anlässe: Beim diesjährigen Weihnachtsmusizieren, so Beate Korn, werden die Kinder wieder in die Orgeltasten greifen können. „Und im nächsten Jahr – dem Jahr der Musik - wird bei uns eine Radtour beginnen, bei der lauter Kirchen mit besonderen Orgeln besucht werden.“
Die aus dem Jahr 1768 stammende Orgel entstand in der Werkstatt der berühmten Orgelbauerfamilie Stumm in Rhaunen-Sulzbach. Sie war ursprünglich für eine Kirche in Sprendlingen (Rheinhessen) gedacht, wurde mit deren Abbruch aber eingelagert und 1834 nach Steinbach verkauft. Dort fand sie ihren Platz auf einer Empore hinter dem Altar. Nach einigen Umbaumaßnahmen wurde im Jahr 1961 eine „Restaurierung“ des Instruments durchgeführt, allerdings: „Gemessen an heutigen Maßstäben war dies ein Orgelneubau unter Verwendung alter Teile“, heißt es im Gutachten des Orgelsachverständigen der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Thomas Wilhelm.
Schon bald zeigte sich, dass diese tiefgreifende Umgestaltung Schwierigkeiten nach sich zog. Die erste Problemzone des Instruments war die Manualwindlade, deren Zustand Wilhelm als „desolat“ beschreibt: „Der Kanzellenrahmen der Windlade hat dem Gewicht der auf ihr stehenden Pfeifen nachgegeben und hängt in der Mitte durch. „Heuler und Durchstecher“ – also das Erklingen einer Pfeife ohne Betätigung des entsprechenden Tonventils bzw. das Mitklingen einer Pfeife mit dem benachbarten Ton – waren die Konsequenzen. Fazit des Sachverständigen: „In diesem Zustand ist eine verantwortungsbewusste Stimmung der Orgel nicht mehr durchführbar.“ Auch im Blick auf das Pfeifenwerk war Wilhelms Bilanz niederschmetternd: Von der barocken Klangaussage des Instruments sei nichts mehr vorhanden, schreibt er. Und: „Durch die Erweiterung des Tonumfanges, die Erniedrigung der Stimmtonhöhe und die Erweiterung der Mensuren stehen die Pfeifen nun wesentlich enger im Gehäuse, was Klangabstrahlung und Stimmhaltung negativ beeinflußt.“
Diese Probleme gehören in Steinbach nun der Vergangenheit an; von Januar bis Mitte April hatten die Restaurierungsarbeiten gedauert, insgesamt 85.000 Euro musste die Gemeinde dafür zahlen. Die Stiftung Orgelklang hatte 5.000 Euro für ihre „Orgel des Monats November“ beigesteuert.
Seit der offiziellen Einweihung am 1. Mai befindet sich das Instrument fast wieder im Originalzustand. „Es wurde nicht ganz in die ursprüngliche Form zurückgeführt, weil der Tonumfang doch erweitert bleiben sollte“, erklärt Beate Korn. Die für die Gemeinde tätigen Organisten hatten sich dafür ausgesprochen: Nun kann die Stumm-Orgel nicht nur mit Werken von Johann Sebastian Bach, sondern auch mit neuerer Kirchenmusik begeistern.