„Man will der alten Dame etwas Gutes“
Orgel des Monats August in der Odilienkirche Springen
Nichts geht den Menschen der kleinen Gemeinde Springen im hessischen Heidenrod im Rheingau-Taunus-Kreis über ihre Kirche. Und schon gar nicht über ihre Orgel. Mit mehr als 300 Jahren ist das Instrument nicht nur eines der ältesten der Region, sondern wird auch liebevoll als „die älteste Springerin“ bezeichnet. Yvonne Ullmann verbindet eine besondere Geschichte mit der Orgel.
„Eigentlich war es ja nur eine Schnapsidee“, erzählt die 29jährige Organistin der Gemeinde, die heute auch das Amt der Orgelbeauftragten inne hat. An einem Gründonnerstagabend übte sie einst mit der damaligen Organistin ein Musikstück für den Karfreitagsgottesdienst. Vorgetragen werden sollte eine Melodie aus „Harry Potter und der Halbblutprinz“ – aus einer Szene, in der Halbriese Hagrid einen guten Freund zu Grabe tragen muss. „Ich hatte eigentlich Querflöte gespielt, dann haben wir spontan die Instrumente getauscht, weil sie eine irische Flöte besaß, die viel besser passte. Dabei hatte ich noch nie an einem Tasteninstrument gesessen“, lacht Ullmann.
An diesem Punkt ist es um sie geschehen, es ist der Beginn einer wunderbaren Leidenschaft. Die Macrander-Orgel in der Odilienkirche ist „ihre Orgel“ geworden. Dass sie mit viel Liebe und Hingabe auf dem Instrument spielt und erst letztens erfolgreich Prüfungen zur D-Kirchenmusikerin abgelegt hat, verwundert da niemanden. Das Springener Instrument ist aber auch etwas Besonders.
1710 wurde die Orgel von Joachim Friedrich Macrander (1661-1741) geschaffen – aber nicht für Springen, vielmehr stand sie zunächst in der gut 70 Kilometer entfernten Cyriakuskirche in Frankfurt-Rödelheim. Anfangs arbeitete Macrander handwerklich nicht auf höchstem Niveau – so manche Orgel hielt nur wenige Jahrzehnte – so dass die „Orgel des Monats August 2021“ neben einem weiteren Instrument in Limbach (Hünstetten) das einzige Instrument aus seiner Werkstatt ist, dass noch mit viel Originalsubstanz erhalten ist. 1872 wurde die Orgel nach Springen verkauft. „Ein Riesenglücksfall“, weiß Ullmann, denn die Cyriakuskirche in Rödelheim wurde im 2. Weltkrieg bei Luftangriffen zerstört. „Wäre sie dort geblieben, gäbe es diese wundervolle alte Dame nicht mehr. Und weil sie in eine arme Gemeinde kam, wurde sie auch nicht umgebaut.“
Odilienkirche Springen, Johann Friedrich Macrander (1710)
Odilienkirche Springen, Johann Friedrich Macrander (1710)
Odilienkirche Springen, Johann Friedrich Macrander (1710)
Odilienkirche Springen, Johann Friedrich Macrander (1710)
Odilienkirche Springen, Johann Friedrich Macrander (1710)
Odilienkirche Springen, Johann Friedrich Macrander (1710)
Jetzt – so ist allenthalben in der Gemeinde zu hören – will man der alten Dame unbedingt etwas Gutes tun. Und das ist auch dringend nötig, denn nach weit über zwanzigtausend Gottesdiensten und unzähligen Konzerten – Ullmann hat es nachgerechnet – sind Restaurierungsarbeiten unumgänglich geworden. Das betrifft vor allem das Pfeifenwerk und die Windladen, ebenso müssen Arbeiten an der Keilbalganlage und am Gehäuse vorgenommen werden. 160.000 Euro wird das am Ende kosten. Eine solche Summe würde die kleine aber aktive Gemeinde niemals aus eigener Kraft stemmen können. Jetzt beteiligen sich Landeskirche, Land, Bund, Denkmalstiftung und Sparkassenstiftung an der Finanzierung. Die Stiftung Orgelklang gibt weitere 3.000 Euro dazu. „Als die ersten Zusagen kamen, sprang mein Organistenherz vor Freude“, erinnert sich Ullmann glücklich. Den Stein ins Rollen gebracht hatte damals Pfarrer Frank Seickel, der 2015 nach Springen kam, im Juni 2021 aber nach Ingelheim gewechselt ist. Sein Engagement habe letztlich zur Restaurierung der Orgel geführt, unterstreicht Ullmann.
Und so klingt die Orgel
Im Frühjahr 2022 soll alles fertig werden. Dann wird die alte Dame wieder herrlich erklingen. Yvonne Ullmann freut sich jetzt schon auf den ersten Traugottesdienst, den sie musikalisch begleiten wird. Denn unter der Klängen der Macrander-Orgel haben 1886 schon ihre Ururgroßeltern geheiratet. Größer kann eine Verbundenheit kaum sein.