Mehr Musik in Pollitz
„Orgel des Monats April 2022“
Die Geschichte klingt aus heutiger Sicht fast märchenhaft: Der 14-jährige Pfarrersohn Friedrich Hermann Lütkemüller aus Papenbruch bei Wittstock erlebt hautnah mit, wie in der Gemeinde des Vaters eine Orgel aufgestellt wird. Orgelbauer Johann Friedrich Turley aus Treuenbrietzen, der im Pfarrhaus Unterkunft gefunden hat, bemerkt das Interesse des Jungen – und versucht die Eltern davon zu überzeugen, dass dieser bei ihm in die Lehre gehen soll. Das Ehepaar ist nicht abgeneigt: Ein Studium können sie nicht beiden Söhnen finanzieren. 40 Jahre später schreibt Lütkemüller in seiner Autobiographie: „Nach sorgfältiger Überlegung und Gebet kam ich zu dem freudigen Entschluss, meinen Eltern ein Opfer zu bringen und trat vom Studium gern zurück.“
Diese spontane Berufswahl vollzog sich im Jahr 1829. Nach dreijähriger Lehrzeit in Treuenbrietzen ging Lütkemüller auf Wanderschaft und lernte unter anderem bei Carl August Buchholz in Berlin und bei Eberhard Friedrich Walcker in Ludwigsburg. So meisterhaft waren seine Fähigkeiten schließlich, dass Walcker ihm wichtige Projekte anvertraute, wenn er selbst abwesend war.
Nachdem Lütkemüller erfahren hatte, dass in Wittstock der Bau einer dreimanualigen Orgel ausgeschrieben werden sollte, kehrte er 1843 in die Heimat zurück und bewarb sich. Er erhielt den Zuschlag für das Großprojekt und gründete seine eigene Firma. Rund 200 Orgeln soll Lütkemüller in Brandenburg, Mecklenburg und Sachsen erbaut haben. Eines der ersten Instrumente schuf er 1846 für die Dorfkirche in Pollitz (Sachsen-Anhalt). Die heute 176-jährige „Orgel des Monats April 2022“ ist noch immer spielbar, aber oftmals funktioniert sie – insbesondere bei Kälte und hoher Luftfeuchtigkeit – mehr schlecht als recht.
Dorfkirche Pollitz
Dorfkirche Pollitz
Dorfkirche Pollitz
Dorfkirche Pollitz
Höchste Zeit für eine Rundum-Sanierung, befand man in Pollitz. Mit einer musikalischen Orgelandacht beging man im Mai 2020 nicht nur die (wie sich später bitter herausstellen sollte: nur zwischenzeitliche) Wiederbelebung von Zusammenkünften, sondern auch den Start des Orgelprojekts. Seitdem werden Spenden gesammelt; zahlreiche Handwerker im Ort haben angeboten, die Restaurierung tatkräftig zu unterstützen. Trotzdem werden die Kosten der in diesem Jahr beginnenden Maßnahmen auf eine Höhe von rund 28.400 Euro geschätzt. Holzpfeifen müssen instandgesetzt werden, ihre Schwestern aus Metall neu bronziert. Die Windanlage benötigt eine Reparatur, ebenso wie Mechanik und Elektrik des Instruments. Sehr dringend muss auch der Holzwurm gestoppt werden. Die Stiftung Orgelklang unterstützt das Projekt mit 2000 Euro.
„Die Pollitzer sind sehr verbunden mit ihrer Kirche, und sie wollen einen musikalischen Schwerpunkt in der Gemeindearbeit setzen“, sagt Pfarrer Christian Buro. Mit einer wiederhergestellten Orgel soll sich die Dorfkirche als Ort für Kultur und Klang weiter etablieren. Mut macht den Gemeindegliedern ein Blick nach Südost: In der Petrikirche des etwa 14 Kilometer von Pollitz entfernt gelegenen Nachbarorts Seehausen wurde vor wenigen Jahren eine deutlich größere (und jüngere) Lütkemüller-Orgel erfolgreich wiederhergestellt.