Orgel des Monats September 2016 in Crostau
Ein Silbermann-Instrument in „neuen klanglichen Sphären“
Am Ende wurde die Zeit knapp. Wie das so ist bei der Fertigstellung von großen Projekten: Der Termin steht fest, und dann läuft irgendetwas nicht nach Plan. So geschehen auch im sächsischen Crostau im Blick auf die Orgel in der evangelischen Kirche, und zwar gleich zwei Mal. Doch unschöne Konsequenzen blieben aus: Die Weihe der 1700 Reichstaler teuren Orgel, aus der Hand von keinem Geringeren als Gottfried Silbermann (1683 - 1753), musste im November 1732 nur um drei Tage verschoben werden. Und der Termin für die Wiedereinweihung des Instruments nach dessen Restaurierung fast genau 284 Jahre später ließ sich trotz einiger Verzögerungen im Plan sogar halten. Am 4. September 2016 ist die wertvollste Barockorgel Ostsachsens mit einem Festgottesdienst und einem anschließenden Konzert unter den Augen (und Ohren) des Landesbischofs und zahlreicher Gäste wieder eingeweiht worden. Die Stiftung Orgelklang würdigt das Instrument als „Orgel des Monats September 2016“; sie hat seine Sanierung mit 7.500 Euro gefördert.
Dass die Weihe der Silbermann-Orgel in Crostau anno 1732 verschoben werden musste, ist erst seit wenigen Jahren bekannt. Bei der Restaurierung eines anderen Silbermann-Werkes wurden 2007 entsprechende Dokumente entdeckt, auf denen das eingedruckte, also ursprünglich vorgesehene Datum (2. November) handschriftlich auf den 5. November geändert worden war. Vermutet wird, dass der berühmte Orgelbauer zusätzliche Arbeitstage für die Generalstimmung seines Werkes benötigte.
Dorfkirche Crostau
Dorfkirche Crostau
Dorfkirche Crostau
Dorfkirche Crostau
Dorfkirche Crostau
Dorfkirche Crostau
Dorfkirche Crostau
Dorfkirche Crostau
Dorfkirche Crostau
Die Crostauer Orgel ist in der Mitte der Schaffenszeit Silbermanns entstanden. Etwa 20 Jahre zuvor hatte er sein Meisterwerk absolviert, die 44-stimmige Orgel im Dom zu Freiberg, und rund 20 Jahre später sollte er seine letzte, mit 47 Registern größte Orgel für die Katholische Hofkirche in Dresden schaffen. Die Crostauer Kirche, in der der „Königlich Sächsische Land- und Hoforgelbauer“ sein Instrument aufgestellt hatte, war allerdings baufällig und wurde 1868 abgebrochen. Zwei Jahre lang lagerte die Orgel auf dem Malzboden einer Brauerei und wurde nur deshalb in der neuen Kirche wieder aufgebaut, weil sich die Gemeinde kein neues Instrument leisten konnte.
Das ist ein großes Glück, meint Kantor Lucas Pohle. Seit sechs Jahren ist der 30-Jährige in Crostau angestellt, als gebürtiger Oberlausitzer kennt er das besondere Instrument aber schon länger: „Sie ist hier in der Region die einzige erhaltene Orgel von Gottfried Silbermann, da hat man natürlich schon in jüngeren Jahren öfter einmal spielen wollen.“ Sehr froh ist der Musiker, dass er hauptberuflich in die originalen Silbermann-Tasten greifen darf, zumal jetzt nach der Sanierung „klanglich noch ganz andere Sphären erreicht werden können“. Obwohl, fügt er schnell hinzu, der Klang der Orgel natürlich schon vor der Instandsetzung hervorragend und unverkennbar ‚silbermännisch`war.
Schon als Lucas Pohle den Sitz am Spieltisch der Silbermann-Orgel übernahm, war abzusehen, dass das Instrument eines Tages würde saniert werden müssen. Beschleunigt hat diese Absichten der hartnäckige Schimmelbefall auf den Holzpfeifen, der allen Bemühungen zum Trotz Jahr um Jahr neu erblühte. „Irgendwann ist dann die Substanz des Materials bedroht.“ Also wurden konkrete Sanierungspläne geschmiedet, ein Förderverein gegründet und Spenden gesammelt. „Sehr viel Geld kam durch die vielen Benefizkonzerte zusammen“, sagt Lucas Pohle, der noch immer beeindruckt ist, mit welchem Engagement die Gemeindemitglieder die Organisation der Konzerte – mindestens eins im Monat – inklusive der Unterbringung der jeweiligen Künstler gemeinsam bewerkstelligten. Außerdem gab es auch materielle Zugaben: Crostauer wie Besucher konnten sich zugunsten der Orgel den Magen füllen mit eigens zur Verfügung gestellten Nüssen, Saft und Gurken. Als besonders einträgliches Accessoire erwies sich die „Orgeltasse“. Eins der insgesamt rund 100 von einer örtlichen Keramikerin mit dem Bild der Orgel verzierten Exemplare schaffte es 2015 bis auf den Gabentisch zur Einführung des neuen Landesbischofs.
Im April dieses Jahres schließlich konnte die Sanierung des Silbermann-Abkömmlings beginnen. Nachdem die Kirche eine automatisierte Lüftungsanlage erhalten hatte, wurden im Laufe der folgenden Monate die Traktur restauriert, die undichten Windladen überarbeitet, alle Holzteile dekontaminiert und gegen Schimmel imprägniert. Fachleute entfernten seitliche Anbauten, die dem Instrument 1933 im Zuge einer „Modernisierung“ hinzugefügt worden waren. Das Instrument, ohnehin zu einem sagenhaft hohen Anteil von 95 Prozent original erhalten, wurde seiner Silbermannschen Urform weiter angeglichen. Dazu gehörten auch eine „milde historische Temperierung“, einzelne klangliche Korrekturen und die Wiederherstellung des originalen hohen Chortones. Insgesamt kostete die Wiederherstellung der Orgel rund 200.000 Euro.
Dass aufgrund von Verzögerungen im Plan der Sanierung nach der feierlichen Wiedereinweihung noch kleinere Nacharbeiten am Instrument nötig sind, stört den Kantor nicht. „Ich bin komplett begeistert, weil die Orgelbauer mit so viel Expertise, Liebe und Behutsamkeit vorgegangen sind und wirklich ein großartiges Ergebnis erzielt haben.“ Lucas Pohle hofft, dass sich die Kunde von der jetzt noch schöner klingenden Orgel schnell verbreitet. „Wir haben eine recht große Kirche, da passen gut noch ein paar mehr Menschen hinein.“