Unvergessene Stimmgewalt
Im thüringischen Niederdorla wird die „Orgel des Monats Mai“ saniert
Sie ist seit mehr als 30 Jahren stumm, und doch wird es nicht still um sie: Die große Orgel in der St. Johanneskirche im thüringischen Niederdorla, 1874 in der Firma Adolf Reubke & Sohn entstanden, muss mit einer außergewöhnlichen Stimmgewalt ausgestattet gewesen sein. Denn noch heute schwärmen die, die sich an diesen Klang erinnern, sagt Pfarrerin Sylke Klingner. „Deshalb hat man sich bei der Werbung für Spenden zur Sanierung der Orgel auch für ein Zitat des Dichters E.T.A. Hoffmann entschieden: ‘Die Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich auf‘“. Klingner selbst hat bislang nur einzelne Töne des vielgelobten Registerrepertoires gehört, aber sie ist sicher, dass das Instrument „mit einem vollen, wunderbaren Klang im wahrsten Sinne des Wortes: begeistern“ kann.
St. Johannes Niederdorla
St. Johannes Niederdorla
St. Johannes Niederdorla
St. Johannes Niederdorla
St. Johannes Niederdorla
St. Johannes Niederdorla
St. Johannes Niederdorla
Ein erhebender Klang, eine imposante Erscheinung und eine bemerkenswerte Geschichte machen die Orgel, die die Stiftung Orgelklang als „Orgel des Monats Mai“ würdigt, zu einer besonderen Hoheit unter den Königinnen der Instrumente. Gleich mehrere Schöpfer verhalfen ihr zu ihrer Eigentümlichkeit: Adolf Reubke, der auch die Orgel im Magdeburger Dom schuf, verstarb früh, worauf sein Sohn Emil die Geschäfte der Firma übernahm. Ihm wird ein wesentlicher Anteil am Bau des Instruments in Niederdorla zugeschrieben. Vater wie Sohn gelten als hervorragende Orgelbauer, die den Bau romantischer Orgeln geprägt, und in Mitteldeutschland auf seinen Höhepunkt geführt haben.
Nicht weniger renommiert war die Firma Robert Knauf & Sohn, die das Instrument in St. Johannes im Jahr 1899 auf pneumatische Trakturen umbaute. Ernst Knauf, unter dessen Regie die Umbauten hauptsächlich stattgefunden haben sollen, hatte 1890 die Pneumatik in die Werkstatt eingeführt. Heute ist das Instrument in Niederdorla das größte noch weitgehend original erhaltene Werk dieses Orgelbauers, und noch immer besticht es „durch eine besondere handwerkliche Sorgfalt und das künstlerische Format seiner Erbauer“, sagt die Pfarrerin.
Nachdem es seit den siebziger Jahren schön anzusehen aber tonlos auf der Empore gegenüber dem Altar thronte, ist das Instrument seiner ursprünglichen Hochform inzwischen schon ein gutes Stück näher gekommen: Pfeifenwerk und Spieltisch wurden in der Werkstatt des beauftragten Orgelbauers instandgesetzt. In einem nächsten Schritt soll nun das Orgelgehäuse selbst einer Erneuerung unterzogen werden, und im kommenden Jahr hofft man auf den Einbau des letzten Registers. „Die Stiftung Orgelklang hat es uns mit ihrer Förderzusage ermöglicht, wieder ein Stück voran zu kommen“, sagt die zuständige Kirchenbaureferentin des Evangelischen Kirchenkreises Mühlhausen, Karin Wollenhaupt. 5.000 Euro stellt die Stiftung zur Verfügung; insgesamt werden sich die Kosten des Projekts auf rund 130.000 Euro belaufen.
Finanzielle Mittel und Wege sucht die Kirchengemeinde gemeinsam mit dem „Freundeskreis Alte Orgel“. Organisiert wurden Flohmärkte und Benefizkonzerte, Filmfreunde konnten im „Kirchenkino“ den Kapriolen von „Don Camillo und Peppone“ folgen und mit ihrem Eintrittsgeld nebenbei das Orgelprojekt fördern. Nicht zuletzt wird für jede der 1.512 Orgelpfeifen ein Pate gesucht. Fünf Meter ist die längste Orgelpfeife hoch, die kleinste misst etwa einen Zentimeter, es gibt 31 Klangfarben zur Auswahl – „wir beraten die Paten gern bei der Wahl ihrer ‚passenden‘ Pfeife“, schmunzelt Sylke Klingner.
Sie freut sich auf das kommende Jahr, in dem das Schweigen der historischen Orgel ein Ende finden soll. Pläne dafür sind längst geschmiedet – auch weil es zusätzlich ein besonderes Jubiläum zu feiern gilt: Der Komponist Matthias Weckmann wurde 2016 vor genau 400 Jahren in Niederdorla geboren. Konzerte mit seinen aus der Zeit des Barock stammenden Werken und dem neuen alten Orgelklang sind fest geplant. Sie werden die Orgelförderer für ihre dann zurückliegenden Anstrengungen belohnen und hoffentlich möglichst vielen Zuhörern das von E.T.A. Hofmann beschriebene „unbekannte Reich der Musik“ nahebringen.