125 Jahre - und kein bisschen (mehr) zu laut
"Orgel des Monats September 2017" in Kirchscheidungen
Robert Müller gerät ins Schwärmen, wenn man ihn auf die Orgel in der St. Johanneskirche in Kirchscheidungen (Sachsen-Anhalt) anspricht. Eine "warme, runde Grundtönigkeit" bescheinigt der Gemeindemusiker ihr, und sie sei - obwohl nur eine kleine Dorforgel - mit den vielen Gestaltungsmöglichkeiten, die sie biete, "auf jeden Fall konzertfähig". Nur einen Makel hatte das romantische Orgelwerk aus seiner Sicht: "Es war einfach zu laut, das hat alles erschlagen". Dieser Makel ist nun behoben - zusammen mit allen anderen Mängeln, die die "Orgel des Monats September 2017" der Stiftung Orgelklang in ihren 125 Lebensjahren angesammelt hatte. Denn in den zurückliegenden Monaten wurde sie sorgfältig restauriert: Das Pfeifenwerk wurde ausgebessert, die Traktur ausgewechselt. Außerdem entfernten die Fachleute das Wurmbekämpfungsmittel, mit dem das Instrument in den zurückliegenden Jahren behandelt worden war. "Das war gefährlich nicht nur für die Würmer, sondern auch für alle Menschen, die sich in der Nähe der Orgel aufgehalten haben", sagt Robert Müller.
Ohne Risiken und Nebenwirkungen, aber mit schönem Klang ist das von Hermann Hildebrand aus Wiehe im Jahr 1892 erbaute Instrument im Frühjahr aus der Werkstatt nach Kirchscheidungen zurückgekehrt; die letzten Arbeiten und die Intonation konnten in der Kirche vorgenommen werden. Nun steckt die erneuerte Orgel in ihrer alten Haut, einem mit Putten verzierten, barocken Prospekt aus dem Jahr 1777, der noch von ihrer Vorgängerin stammt. Rund 30.000 Euro hat die Sanierung die Gemeinde gekostet. Die Stiftung Orgelklang hat 4.000 Euro beigesteuert.
"Sehr rührig", lobt der Musiker, waren die Gemeinde und insbesondere die Mitglieder des Orgelvereins Kirchscheidungen, als es darum ging, Spenden für die Instandsetzung des Instruments in der romanischen Kirche zu gewinnen. Es gab natürlich Benefizkonzerte, und es gab "Orgelmarmelade": In allen möglichen Geschmacksrichtungen hatten Frauen aus der Gemeinde Früchte und Beeren eingekocht, eine örtliche Fotografin ein entsprechendes Etikett für die Marmeladengläser gestaltet. Süßer Aufstrich für schöne Töne - wer die Marmelade (oder beides) wollte, zahlte, soviel er mochte. Um die Kosten für die Instandsetzungsarbeiten gering zu halten, öffnete außerdem so manches Gemeindemitglied seine Wohnungstür und nahm einen Handwerker aus der Werkstatt bei sich auf. Beeindruckt berichtet Robert Müller auch von einer Dame, die unermüdlich durch den ganzen Ort von Tür zu Tür gegangen war und viele Spenden erhalten hatte.
Der Gemeindemusiker des Pfarrbereichs, im nahen Laucha geboren, kennt die Orgel in Kirchscheidungen schon lange; mit 16 Jahren hat er zum ersten Mal die Tasten gedrückt. "Ich hatte Klavier gelernt und wollte mich an eine Orgel wagen". Das Wagnis gelang, und von da an nahm der Schüler fast jeden Sonntag am Spieltisch in St. Johannes Platz. Heute, 16 Jahre später, ist der 32-Jährige für alle Orgeln im Pfarrbereich zuständig. Konkret bedeutet das zum Beispiel: drei musikalische Einsätze in drei unterschiedlichen Orten, jeden Sonntag. Das erfordert ein funktionierendes Auto und viel Herzblut für die Sache - beides habe er, versichert der junge Mann lächelnd. Er freut sich, dass er seit ein paar Wochen auch in Kirchscheidungen wieder Halt machen kann, wo die erneuerte Orgel in St. Johannes wieder in jedem Gottesdienst gespielt wird. "Wunderschön - und ohne so laut zu sein, dass der Gemeindegesang untergebuttert wird".
St. Johanneskirche Kirchscheidungen
St. Johanneskirche Kirchscheidungen
St. Johanneskirche Kirchscheidungen