Orgel in der Burchardikirche zu Halberstadt
Orgel in der Burchardikirche zu Halberstadt

Klangwechsel nach sieben Jahren

Neue Töne für "ORGAN2/ASLSP" (As Slow aS Possible) von John Cage

Kann das funktionieren? Ein „Orgelkonzert“ mit einer Spieldauer von sage und schreibe 639 Jahren? Bislang ja: vor knapp 20 Jahren begann es in der Burchardikirche in Halberstadt (Sachsen-Anhalt).  13 mal hat seitdem der Klang gewechselt. Am 5. September 2020 steht Wechsel Nr. 14 an.

„Organ2/ASLSP“ war ursprünglich eine Auftragsarbeit und entstand als Wettbewerbsbeitrag für „The University of Maryland Piano Festival and Competition“. Mit Hilfe eines Zufallsgenerators komponierte der US-amerikanische Avantgarde-Künstler John Cage 1985 die achtseitige Partitur ursprünglich für Klavier, zwei Jahre später schrieb er es für die Orgel um. Das Tempo? „As slow as possible“ – (so langsam wie möglich) – hat er darauf vermerkt. Das hat man durchaus wörtlich genommen.

1997 entstand bei einem Orgelsymposium in Trossingen die Idee, das Stück in Halberstadt aufzuführen – und nicht so furchtbar schnell wie bei der Uraufführung 1989 in Metz, als der Organist Gerd Zacher die Komposition in gerade einmal 29 Minuten spielte. Die Wahl der Spielstätte fiel auf Halberstadt, unglaubliche 639 Jahre Spielzeit wurden projektiert. Die krumm anmutende Zahl hat eine Geschichte: Im Halberstädter Dom,  wurde 1361 eine der ältesten dokumentierten Orgeln der Neuzeit errichtet. Die vom ursprünglich geplanten Spielstart im Jahr 2000 entspricht genau diesen 639 Jahren. Da der Dom aber als Gotteshaus genutzt wird, wich man auf die dals ungenutze Burchardikirche aus. Es kam dann zu Verzögerungen und das Konzert konnte erst am 5. September 2001 beginnen – und wird daher entsprechend 2640 enden.

St. Burchardikirche zu Halberstadt: Spielstätte von ORGAN2/ASLSP

St. Burchardikirche zu Halberstadt: Spielstätte von ORGAN2/ASLSP

Die Orgel ist ununterbrochen in Betrieb und enstprechend abgesichert

Die Orgel ist ununterbrochen in Betrieb und enstprechend abgesichert

Ein Notstromaggegrat sichert die Windzufuhr

Ein Notstromaggegrat sichert die Windzufuhr

Am 5. September 2020 endet der mit 6 Jahren und 11 Monaten längste ununterbrochene Klang des ersten Teils

Am 5. September 2020 endet der mit 6 Jahren und 11 Monaten längste ununterbrochene Klang des ersten Teils

Der aktuell Fünfklang aus c‘(16‘), des‘(16‘), dis‘, ais‘ und e‘‘ wird mit gis und e‘ zum Siebenklang.

Der aktuell Fünfklang aus c‘(16‘), des‘(16‘), dis‘, ais‘ und e‘‘ wird mit gis und e‘ zum Siebenklang.

639 Jahre wird das Stück dauern - es endet 2640.

639 Jahre wird das Stück dauern - es endet 2640.

Unterstützer können sich Klangjahre sichern und Gedenktafeln gestalten

Unterstützer können sich Klangjahre sichern und Gedenktafeln gestalten

Kurios? Es kommt noch besser: Wirklich hören konnte man die Orgel nämlich erst am 5. Februar 2003, denn das Stück beginnt mit einer Pause. Seitdem haben 13 Klangwechsel stattgefunden, manche Töne sind jahrelang zu hören. Dabei bringt der ununterbrochene Betrieb der Orgel spannende technische Herausforderungen mit sich, beispielsweise ist ein Notstromaggregat angeschlossen, damit das bei Stromausfall nicht unterbrochen wird. Während der „Aufführung“ können weitere Orgelpfeifen eingebracht und entsprechend dem Partiturverlauf ausgetauscht werden.

Jetzt fiebert man dem 14. Klangwechsel entgegen. Und der hat es durchaus in sich: Aus dem aktuell gespielten Fünfklang aus c‘(16‘), des‘(16‘), dis‘, ais‘ und e‘‘, der seit dem 5. Oktober 2013 zu hören ist, kommen die Pfeifen mit den Tönen gis und e‘ dazu. Wer das live in der Burchardikirche miterleben möchte, muss sich sputen, denn coronabedingt darf die Kirche nur mit einer Eintrittskarte (gegen eine Spende) betreten werden. Es sind nur noch sehr wenige Karten verfügbar. Es soll aber eine Video-Außenübertragung angeboten werden.

Das Projekt „Organ2/ASLSP“ wird ohne institutionelle Förderung rein ehrenamtlich betrieben. Unterstützer können sich so genannte Klangjahre sichern: Auf einem Edelstahlband in der Kirche sind für jedes Aufführungsjahr Gedenktafeln angebracht. Wer mehr als 1.200 Euro spendet, kann eine solche Tafel „erwerben“ und einen eigenen Text darauf veröffentlichen. Fast eine Million Euro wurden in den letzten 20 Jahren eingeworben – zu wenig, um den dauerhaften Betrieb des Projekts für die Zukunft zu garantieren. So steht das Jahrhundertkonzert vor einer ungewissen Zukunft…